Mögen Zölle freilich hinderlich gewesen sein, so
ist die Kleinstaaterei doch wesentlich positiver zu betrachten. Eine Tatsache
jedoch, die es im Zeitalter des wissenschaftlichen Positivismus schwer hatte,
der Daten aggregiert, dabei aber konkrete Interdependenzen vernachlässigt.
Mittlerweile jedoch hat sich das Blatt gewendet: immer mehr Historiker und
Ökonomen neigen dem „institutionellen“ Ansatz zu, der der Kleinstaaterei eine
bemerkenswert positive Rolle in der wirtschaftlichen Entwicklung Europas
zubilligt.
Dass
marxistische Theorien, die allzu oft von Ausbeutung zulasten Kolonien ausgehen
falsch liegen, scheint mittlerweile Konsens zu sein. Trotzdem hält sich
hartnäckig der Glauben, dass etwa das Gold Südamerikas Spanien reich gemacht
hatte. Das Gegenteil ist der Fall: die Goldschwemme zerstörte die Wirtschaftsstruktur
völlig und sorgte für den raschen Niedergang Spaniens in den folgenden
Jahrhunderten, was sich durch die unsichere Eigentumsrechtssituation, ausgelöst
durch Enteignungen von Juden und Mauren, noch verstärkte.
Der Grund dafür,
warum das Pro-Kopf Einkommen gerade in Europa über einen langen Zeitraum
kontinuierlich anstieg, ist hingegen in der relativ geringen politischen
Beschränkung zu finden, die sich in radikaler Dezentralisation und Wettbewerb
untereinander – Kleinstaaterei eben –
äußerte. Militarismus und monarchische Willkür mögen dies an mancher Stelle
gedämpft haben, doch waren die Bedingungen für Unternehmertum über lange Zeit
grundsätzlich stabil. Wichtigster Faktor dabei war die Sicherung von
Eigentumsrechten. Laut David Landes wurden Steuern z.B. meist von seitens
der Steuerpflichtigen selbst beaufsichtigten Vertretern erhoben, was soziale
Kontrolle und Erpressungsmöglichkeiten erheblich erschwerte.
Überhaupt war
Repression schwer möglich. Wer etwas zu befürchten hatte, konnte oft innerhalb
einer Stunde die Landesgrenzen verlassen. Fürsten, die enteigneten und Handel
verhinderten, konnten zusehen, wie sich ihre Konkurrenten an einer besseren
wirtschaftlichen Entwicklung erfreuten. Macht war verstreut statt
zentralisiert, was die Ausweitung des Rechtsstaates begünstigte. Wie DouglasNorth (1981) zeigte, boten nun klarer definierte Eigentumsrechte die Möglichkeit, mehr von
Investitionen zu profitieren, was zur Entstehung einer neuen, unabhängigen
Händlerschicht führte. Dies alles sorgte in einem langen Zeitraum von mehreren
hundert Jahren für stetigen Wohlstandszuwachs, gleichzeitig aber auch zur Blüte
von Kultur und Wissenschaft. Das große Kapital des deutschen Fürstentums Weimar
waren etwa seine Dichter und Denker, da es militärisch den es umgebenen
größeren Staaten nicht gewachsen war. So schrieb etwa Goethe zur 1828 zur
Kleinstaaterei: „Wodurch ist Deutschland groß als durch eine bewundernswürdige
Volkskultur, die alle Teile des Reichs gleichmäßig durchdrungen hat. Sind es
aber nicht die einzelnen Fürstensitze, von denen sie ausgeht und welche ihre
Träger und Pfleger sind? – Gesetzt, wir hätten in Deutschland seit
Jahrhunderten nur die beiden Residenzstädte Wien und Berlin, oder gar nur eine,
da möchte ich doch sehen, wie es um die deutsche Kultur stände, ja auch um
einen überall verbreiteten Wohlstand, der mit der Kultur Hand in Hand geht!“ (JohannPeter Eckerman: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens -Kapitel 287)
Natürlich gab es
Unterschiede in Europa. Nachdem sich etwa die Niederlande aus spanischen Händen
befreiten, waren sie alles andere als unterentwickelt. Wie Ralph Raico treffend
schreibt: „Sie
schuldeten ihre Freiheit dem dezentralen Staatensystem Europas und wuchsen dann
auch selbst als dezentral organisiertes
Land hervor, ohne König und Hof, ein „kopfloses Commonwealth“ das sichere
Eigentumsrechte mit Rechtsherrschaft, religiöser Toleranz und intellektueller
Freiheit, und einem Grad an Wohlstand verband, den man als frühes modernes Wirtschaftswunder bezeichnen kann.“
Russland hingegen ist als Gegenbeispiel anzuführen. Schon lange vor der
Oktoberrevolution galt im Russischen
Zarenreich die Maxime eines unbeschränkten Staates. Florierende Hansestädte wie
Nowgorod wurden zerstört, der Adel war abhängig vom Staat und Rechts-,
Eigentums- und Personensicherheit nicht gewährleistet.
Was können wir
in der heutigen Zeit daraus lernen? Einerseits lernen wir daraus, dass in den
unterentwickelten Ländern der Welt vor allem stabile Rahmenbedingungen
herrschen müssen, um eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung zu
ermöglichen. Klar definierte und gesicherte Eigentumsrechte, eingebettet in
einem in seiner Macht beschränkten Rechtsstaat, sind der Schlüssel dazu.
Andererseits sollten wir uns im Zeitalter des EU-Zentralismus darauf besinnen,
was Europa groß gemacht hat. Nicht die Einfalt der Monarchen, sondern die
Vielfalt der Nationen. Nur ein buntes, offenes Europa kann dafür sorgen, dass
unser Kontinent auch in Zukunft lebenswert bleibt.
Christoph
Heuermann studiert Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Universität
Konstanz
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