Die Wahlen in Großbritannien rücken
näher und damit auch die Frage nach den europapolitischen Weichenstellungen der
neuen Regierung. Angesichts der
Möglichkeit des Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union lohnt sich
der historische Blick zurück, um die Rolle des Vereinigten Königreichs im
Prozess der Europäischen Integration besser zu verstehen. In diesem zweiten Teil
des historischen Rückblicks geht es um die lange Phase zwischen der Bekanntgabe
des Schumann-Plans im Jahr 1950 und dem ersten Referendum in Großbritannien
über die EG-Mitgliedschaft im Jahr 1975.
Im Jahr 1950
übernahm die französische Regierung die Initiative in der Europapolitik,
nachdem die französische Deutschlandpolitik in eine Sackgasse geraten war. Mit
dem Schumann-Plan kam sie in die Offensive und es gelang ihr, ihre eigene europapolitische
Konzeption durchzusetzen, die sich von der britischen wesentlich unterschied:
„In den ersten Nachkriegsjahren wurde in allen Europamodellen Großbritannien
die Führungsposition zugewiesen, und ein Vereinigtes Europa ohne Großbritannien
schien undenkbar. Im Jahre 1950 riss Frankreich die Führungsrolle an sich und stellte Großbritannien vor die
Wahl, sich zu französischen Bedingungen zu beteiligen oder fern zu bleiben.“ (Gerhard
Brunn) Mit der Montanunion wurde eine supranationale Behörde geschaffen, die
nach französischer Vorstellung das Herzstück des europäischen
Einigungsprozesses darstellen sollte. Dieser Ansatz war für die britische
Regierung unannehmbar.
Die EWG und die EFTA
Als sich
Frankreich, Deutschland, Italien und die Benelux-Staaten zur Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft zusammen schlossen, fand sich Großbritannien aus der weiteren Entwicklung in Kontinentaleuropa
ausgeschlossen und suchte nach alternativen Möglichkeiten der europäischen
Kooperation. Im Zentrum der britischen Europakonzeption stand die Schaffung
einer Freihandelszone. Als Alternative zur EWG gründete Großbritannien 1960
zusammen mit Dänemark, Norwegen, Österreich, Schweden, Portugal und der Schweiz
die Europäische Freihandelszone EFTA. Die EFTA entwickelte jedoch nicht
dieselbe Dynamik wie die Wirtschaft der europäischen Kernstaaten. Deshalb
bemühte sich Großbritannien und andere EFTA-Staaten schließlich um die Aufnahme
in die Europäische Gemeinschaft.
De Gaulles Veto gegen den Beitritt
Großbritanniens
Nachdem in
Frankreich 1958 Charles de Gaulle die politische Führung übernommen hatte,
hatte sich das Verhältnis zum Vereinigten Königreich verschlechtert. De Gaulle
wollte Europa als eine dritte Macht zwischen den USA und dem Ostblock
positionieren. Eine Aufnahme Großbritanniens mit seinen starken
transatlantischen Bindungen schien dieser Konzeption zu wieder zu laufen,
weshalb Frankreich die Aufnahme Großbritanniens mit seinem Veto blockierte.
Erst unter seinem Nachfolger Georges Pompidou besserte sich das Verhältnis
deutlich. Pompidou und der britische Premierminister Edward Heath pflegten ein
engeres politisches und persönliches Verhältnis, so dass Frankreich Anfang der
siebziger Jahre seinen Widerstand gegen die EG-Mitgliedschaft Großbritanniens aufgab.
Labour und die EG-Mitgliedschaft
Zu dieser Zeit
waren vor allem die britischen Konservativen Befürworter des Beitritts zur EG.
Für die Konservativen war der EG-Beitritt Teil der Öffnung Großbritanniens und
der Modernisierung der britischen Wirtschaft. Margaret Thatcher gehörte damals zu
den leidenschaftlichen Befürwortern des Beitritts.
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Yes, it is Margaret Thatcher |
Anders als die Labour-Party,
in der es genau aus demselben Grund Vorbehalte gegen die Mitgliedschaft gab. Open
Europe weist auf den interessanten Report des Diplomaten Nicholas Spreckley
über die Beitrittsverhandlungen hin. Trotz der wohlwollenden Haltung von Deutschen,
Niederländern und Dänen gelang es der Labour-Regierung, die im März 1974 die
konservative Regierung abgelöst hatte, in den Neuverhandlungen mit der EG nicht, über
das Verhandlungsergebnis der konservativen Vorgängerregierung hinaus Erfolge zu
erzielen. Am Ende musste ein Referendum über die Mitgliedschaft Großbritanniens
in der Europäischen Gemeinschaft entscheiden.
Das erste Referendum in der Geschichte von
Großbritannien
Da Labour in der
Frage des EG-Beitritts gespalten war, überließ Premierminister Harold Wilson es
den Briten selbst, die Entscheidung über die Mitgliedschaft in der EG zu
treffen. So kam es am 5. Juni 1975 zum ersten nationalen Referendum der
britischen Geschichte. Das Lager der Gegner war gespalten. Zu ihm gehörten so
unterschiedliche Politiker wie der rechtskonservative Enoch Powell und Tony Benn vom linken Flügel
der Labour-Party. Mit einer Zustimmung von 67 Prozent lag das Lager der
Befürworter der EG-Mitgliedschaft am Ende klar vorne. Dass sich in den
folgenden Jahrzehnten in Großbritannien eine kritischere Sicht auf die
Europäische Union weitgehend durchgesetzt hat, hat viel mit der Entwicklung von
EG und EU seit den achtziger Jahren zu tun, mit der wir uns im nächsten Teil
dieses historischen Rückblicks beschäftigen wollen.
Literatur
Gerhard Brunn: Die Europäische
Einigung, Stuttgart 2009
Andrew
Geddes: Britain and the European Union, New York 2013.
Dr. Gérard Bökenkamp ist Referent für
Grundsatz und Forschung im Liberalen Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung
für die Freiheit.
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