Eine heute in Nischen beachtete ökonomische Theorie ist die "Financial Instability
Hypothesis" des dem Postkeynesianismus zugeordneten Hyman P. Minsky. Diese
Verortung rührt vor allem aus Minskys übrigen Werken wie "John Maynard
Keynes" (1975) sowie der keynesianischen Methodik, der er sich bedient
hat. Die Kernaussage dieser Hypothese ist, dass Finanzmärkte aus sich heraus
zur Instabilität tendieren. Hieraus folgern viele eine Legitimation von Regulierung und Aufsicht
aufgrund inhärenter Instabilität und gleichzeitiger Systemrelevanz der
Finanzmärkte.
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Hyman P. Minsky 1919-1996 http://keynesblog.com/2012/09/17/hyman-minsky-e-la-crisi/ |
Die Minsky-Hypothese im Schnelldurchlauf
Theorem 1:
Es existieren stabile und instabile Finanzierungsregime
einer Volkswirtschaft.
Theorem 2:
Anhaltende Prosperität bewirkt Wechsel hin zu
instabileren Finanzierungsregimen.
Die drei Finanzierungsregime nach Minsky:
- Abgesicherte Finanzierung: Finanzinstitute operieren auf der Grundlage, dass zukünftige Cash Flows sowohl Rückzahlung des aufgenommenen Fremdkapitals ermöglichen als auch Zinskosten decken.
- Spekulative Finanzierung: Finanzinstitute operieren auf der Grundlage, dass zukünftige Cash Flows Zinskosten decken. Rückzahlung des aufgenommenen Fremdkapitals erfolgt mittels Aufnahme von Fremdkapital.
- Ponzi-Finanzierung: Finanzinstitute operieren auf der Grundlage, dass zukünftige Cash Flows weder Rückzahlung des aufgenommenen Fremdkapitals ermöglichen noch Zinskosten decken. Beide Positionen werden mittels weiterer Aufnahme von Fremdkapitalien bedient.
Systematik:
Abgesicherte Finanzierung begründet Prosperität und damit
Anreize (höhere Risikobereitschaft) zur spekulativen Finanzierung, welche schließlich
zur Ponzi Finanzierung animiert. Ponzi-Finanzierung führt zur Finanzkrise, und
diese liefert wiederum den Anreiz zur abgesicherten Finanzierung.
Für Kenner der Austrian Business Cycle Theory (ABCT) dürfte
das kalter Kaffee sein, denn die Systematik
ist prinzipiell dieselbe (Boom – Überinvestition – Fehlinvestition – Bust).
Der Punkt ist aber der, dass die Minsky-Hypothese vom ökonomischen Mainstream sehr
viel mehr beachtet und auch in Modellierungen berücksichtigt wird.
Beispielsweise in Form eines "Minsky Moments" bzw. exogenen Schocks[1]
in "Debt, Deleveraging and the Liquidity Trap" von Krugman und Eggertsson (2012), wo wie üblich Interventionismus und Regulierung theoretisch fundiert
bzw. legitimiert werden soll.[2]
Dabei wird freilich der Kern des zweiten
Theorems ignoriert, dass gerade längere Zeitperioden relativer
gesamtwirtschaftlicher Stabilität Finanzierungsregimewechsel innerhalb der
Finanzmärkte herbeiführen.
Denn welche Konsequenz hat erfolgreiche bzw. politisch
zweckdienliche Geldpolitik? Sie bewirkt eine längere Periode relativer
gesamtwirtschaftlicher Stabilität. Eine erfolgreiche Geldpolitik definiert sich
gerade über anhaltende Stabilität (konstantes Wirtschaftswachstum).
Ebenso bewirkt eine erfolgreiche Finanzkrisenpolitik in Form
etwa als notwendig erachteter bailouts erst den moral hazard, sprich analog
erhöhte Bereitschaft zu spekulativen sowie Ponzi Finanzierungen und überspringt
damit im Prinzip das abgesicherte Finanzierungsregime.
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Charles Ponzi (1882-1949) Boston Library |
Minskys Argumentation lässt sich nicht nur auf die Wirkungen
der Geldpolitik im Hinblick auf die Finanzmärkte im engeren Sinne (Spekulationen
privater Anleger) anwenden, sondern auch auf andere Sachverhalte übertragen. Die
Übertragung auf Gütermärkte und erfolgreiche Konjunkturpolitik läuft vollkommen
analog und ähnelt bei entsprechenden Termini verblüffend der ABCT.
Die Übertragbarkeit geht allerdings weiter:
Southern European Instability Hypothesis
Man stelle sich bspw. ein nicht namentlich genanntes
südeuropäisches Land vor, das einer Gruppe anderer Länder beitritt, welche
besagtes Land als strukturell so rückständig erachtet, dass es über Jahrzehnte
Fördergelder aus einem speziell zu diesem Zweck geschaffenen Fond von den
anderen Ländern erhält.
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Gutenberg Projekt |
Diese nutzt das Land anfangs dazu, um Investitionen der
Kategorie 1 zu tätigen, deren Rentabilität zumindest fraglich ist. Nach einiger
Zeit ergeben sich die Umstände des besagten Landes so, dass es zu
außerordentlich vorteilhaften Konditionen in der Lage ist, zusätzliche
Fördergelder für Investitionen der Kategorie 2 zu erlangen, deren Rentabilität
per Definition vollkommen ausgeschlossen ist.
Unter den Investitionen der Kategorie 1 kann man sich ohne
Weiteres erweiterte nachfragewirksame Ausgaben in Form von Sozialleistungen und
/ oder den Aufbau von wirtschaftlichen Aktivitäten vorstellen, die abhängig von
der erzeugten zusätzlichen Nachfrage sind und damit konsequenterweise vom
anhaltenden Zahlungsstrom der übrigen Gruppenmitglieder (spekulative
Finanzierung).
Unter den Investitionen der Kategorie 2 kann man sich den
ebenfalls nachfragewirksamen und zu wirtschaftlichen Aktivitäten anreizenden
Aufbau eines ineffektiven sowie ineffizienten Beamtenapparates vorstellen, der
seinerseits abhängig vom anhaltenden zusätzlichen Zahlungsstrom aus günstigen
Konditionen ist (Ponzi Finanzierung).
Ob das namentlich nicht genannte Land nach erfolgtem Kollaps
des Ponzi Finanzierungsregimes ein abgesichertes Finanzierungsregime einleitet
oder dieses Regime überspringt, wird durchaus davon abhängen, welche
Fremdkapitalströme es als sicher betrachten kann.
Und selbst an diesem Punkt ist die Übertragungsfähigkeit von
Minskys „Financial Instability Hypothesis“ noch nicht am Ende angelangt, denn
der gedankliche Sprung weg von der speziellen Finanzmarktperspektive hin zur
allgemeinen (Re-)Finanzierungspraxis von Staatshaushalten ist ein kleiner.
Wäre
Minsky noch am Leben und würde sich die heutige Eurozone betrachten, käme er
vielleicht mit einer „Southern European Instability Hypothesis“. Nun spielen
die Euro-Staaten „Ponzi“ – und die künftigen Steuerzahler bezahlen die
Rechnung.
Vielen Dank fürs Lesen.
Frank Schmidt studiert Volkswirtschaftslehre (BA) an der Humboldt
Universität zu Berlin und ist Praktikant bei Open Europe Berlin.
[1] Endogene Modellierung dürfte schon dadurch ausgeschlossen sein, da dies einen
Paradigmenwechsel weg von gleichgewichtigen Systemen voraussetzt.
[2] Im Krugman-Modell
ergibt sich etwa die Notwendigkeit, den realen Zins über gesteigerte
Inflationserwartungen zu senken bzw. die Notwendigkeit expansiver Geldpolitik
der Zentralbank, um Vollbeschäftigung zu erreichen.
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