Der Präsident der EU-Kommission
hat angesichts der Konfliktlage in der Ukraine den alten Gedanken einer
EU-Armee ins Spiel gebracht. Das ist jedoch leichter gefordert als umgesetzt.
Denn der Europäischen Union fehlt genau das, was nach allgemeiner Auffassung
einen Staat begründet: Das Gewaltmonopol.
Staatenbund oder Bundesstaat?
Der Unterschied zwischen einem
Staatenbund und einem Bundesstaat ist, dass im Staatenbund die Souveränität bei
den Mitgliedsstaaten liegt und im Bundesstaat auf Unionsebene. Der Bundesstaat
besteht aus Gliedstaaten, die sich mehr oder weniger autonom verwalten, aber
nur Teil eines Ganzen sind. Das Ganze wird nach außen von der Bundes- bzw.
Unionsebene vertreten. Im Staatenbund sind die Staaten Subjekte des
Völkerrechts und übernehmen die völkerrechtliche Vertretung und die
völkerrechtliche Entscheidungsbefugnis wahr, im Bundesstaat ist es die
Bundesebene, die diese Befugnis wahrnimmt. Bundesstaaten sind zum Beispiel die
USA, die Bundesrepublik oder auch die Schweiz. Die einzelnen Staaten,
Bundesländer und Kantone besitzen ein großes Maß an Eigenständigkeit, nach
außen tritt die Bundesebene jedoch als Vertreter des Ganzen auf. Es gibt immer
wieder Diskussionen darüber, ob die EU ein Staatenbund oder ein Bundesstaat
werden soll. Für das Ziel des Bundesstaates findet das Schlagwort von den
„Vereinigten Staaten von Europa“ immer wieder Verwendung.
Gewaltmonopol nach außen ist
für den europäischen Bundesstaat wichtiger als die EZB
Diese Diskussion entzündet sich
derzeit fast ausschließlich an Fragen der Währungspolitik und des
Finanztransfers. Die zentrale Frage bleibt bei der Debatte aber unberührt: Die
Frage des Gewaltmonopols und der Vertretung nach außen. Staaten können ihre
innere Finanzverfassung sehr unterschiedlich regeln; was sie definitionsgemäß
zu Staaten macht und von Nichtstaaten unterscheidet, ist die Souveränität in
völkerrechtlichen, außen- und sicherheitspolitischen Fragen – bei der
Entscheidung über Krieg und Frieden. Ein Staat ohne gemeinsame Zentralbank ist
denkbar – das traf auf fast alle Staaten bis ins 19. Jahrhundert zu, auf
die USA bis zum Jahr 1913 – ein Staat ohne gemeinsame Verteidigungs-
Außenpolitik und verbindliche völkerrechtliche Vertretung hingegen nicht. Die
Schweiz und die USA sind ohne Zweifel Bundesstaaten, obwohl sie ihren Gliedern,
den Staaten und Kantonen, ein hohes Maß von Finanzautonomie erlauben und so
etwas wie ein Bailout nicht kennen. Während die Schweiz noch so etwas wie einen
Finanzausgleich zwischen den Kantonen kennt, kennt die USA einen solchen
Transfer zwischen den Gliedstaaten nicht. Dennoch würde niemand bestreiten,
dass die USA heute einen Bundesstaat darstellt.
Die Gründung des Bundesstaates
müsste per Referendum beschlossen werden.
Die Gründung eines europäischen
Bundesstaates würde die Übertragung der völkerrechtlichen Souveränität von der
nationalen auf die europäische Ebene erfordern. Dies würde ein Referendum auch
in der Bundesrepublik zwingend machen. Sowohl eine Mehrheit der deutschen
Wähler als auch der Wähler in den anderen EU-Staaten müsste also dieser
Souveränitätsübertragung zu stimmen. Unabhängig davon, ob der positive Ausgang
einer solchen Abstimmung in den einzelnen EU-Staaten wahrscheinlich ist oder
nicht, und unabhängig davon, ob man die Gründung eines europäischen Bundesstaates
als wünschbar ansieht oder nicht, sollen in den folgenden Abschnitten einige
Betrachtungen über die Konsequenzen der Gründung eines europäischen
Bundesstaates für die Außen- und Sicherheitspolitik angestellt werden. Neben
den notwendigen Referenden auf nationaler Ebene, würde die Abgabe der
Souveränitätsansprüche der Nationalstaaten in Fragen der Außen- und
Sicherheitspolitik die größte Hürde für die Begründung eines europäischen
Bundesstaates darstellen. Diese Abgabe ist aber schon per Definition notwendig,
denn ein Bundesstaat ohne die Zuständigkeit für die Vertretung des Bundes in
seiner Gesamtheit nach außen, ist weder Staat noch Bundesstaat.
Militärinterventionen gäbe es
nur noch unter EU-Kommando
Wenn Außen- und
Sicherheitspolitik Unionssache wären, was in einem Bundesstaat zwingend der
Fall ist, kann es keine unabhängige Außen- und Sicherheitspolitik einzelner
EU-Staaten geben. Frankreich könnte zum Beispiel nicht mehr selbstständig
entscheiden, Truppen in einen westafrikanischen Staat zu schicken, um dort
bestimmte Interventionsziele zu erreichen, was in den letzten Jahrzehnten
durchaus gängige Praxis war. Das könnte nur noch die EU. Frankreich könnte
höchstens einen Antrag bei den zuständigen EU-Gremien stellen mit dem Wunsch,
dass eine solche Intervention in die Wege geleitet wird. Würde dann eine solche
Intervention beschlossen, dann wäre dies die gemeinsame Haltung der gesamten EU
und damit wäre die Unterstützung dieser Intervention auch für alle bindend.
Kein Gliedstaat könnte sich neutral verhalten, so wenig wie sich Oklahoma oder
der Staat New York für neutral erklären kann, wenn US Truppen in den Irak
geschickt werden. Dem entsprechend müsste es wohl auch entweder eine EU-Armee
geben oder wenigstens einen EU-Kommando-Stab der alle Armeekontingente
befehligt. Ein französisches, britisches oder deutsches Oberkommando würde es
nicht mehr geben, das Oberkommando läge auf der EU-Ebene. Es würden, um beim
Beispiel zu bleiben, dann auch nicht französische Truppen intervenieren,
sondern Truppen der EU unter EU-Flagge und unter EU-Kommando.
Keine Diplomatie der
Einzelstaaten mehr, sondern Alleinvertretung der EU
Ebenso wenig würde es in Zukunft
noch eine deutsche, französische oder britische Nahostpolitik geben können, so
wenig wie es heute eine eigene Bayerische oder texanische Nahostpolitik gibt.
Das besondere bilaterale Verhältnis Deutschlands zu Israel wäre etwa in einem
europäischen Bundesstaat auf diplomatischer Ebene ebenso perdu, wie das
besondere Verhältnis Frankreichs zur arabischen Welt. In einem Bundesstaat kann
es nur eine gemeinsame außenpolitische Linie geben, auf die man sich zum
Beispiel in einem Rat der Außenminister oder noch konsequenter in einem
EU-Kabinett verbindlich einigt. Das Aushandeln völkerrechtlicher Verträge, die
Anerkennung neuer Staaten, die Entscheidung über Militäreinsätze, der Abbruch
diplomatischer Beziehungen usw. diese Kompetenzen liegen in einem Bundesstaat
auf Bundesebene, also in einem europäischen Bundesstaat auf der Ebene der EU.
Während in der Finanz- und Wirtschaftspolitik der Spielraum für dezentrale
Lösungen in einem Bundesstaat sehr groß ist, was die Beispiele USA und Schweiz
zeigen, so gering sind sie in außen- und sicherheitspolitischen Fragen. Außen-
und Sicherheitspolitik gehören zur völkerrechtlichen Wahrnehmung der
staatlichen Souveränität und darauf hat im Bundesstaat die Bundesebene das
Monopol. So können etwa die Kantone der Schweiz sehr selbstständig über
ihre Finanzen verfügen, aber nicht selbstständig Gebirgsjäger nach Syrien
schicken. Texas kann seine Steuern senken, aber nicht dem Iran den Krieg
erklären.
Frankreich und Großbritannien
müssten Atomwaffen und UN-Sitz an die EU abgeben
Großbritannien und Frankreich
verfügen über Nuklearwaffen, Deutschland darf ausdrücklich keine Nuklearwaffen
besitzen. Mit einem Bundesstaat ist das nicht vereinbar. Stellen wir uns vor,
Kalifornien und Texas hätten Atomwaffen und dürfte souverän über den Einsatz
entscheiden, Florida dürfte hingegen gar keine Atomwaffen besitzen und das
Außenministerium in Washington hätte keine Verfügungsgewalt über die
Nuklearwaffen und keinen Einfluss darauf, ob Kalifornien etwa Atomtests
durchführt oder seine Atomwaffen sogar zum Einsatz bringt. Diese Vorstellung
ist offensichtlich absurd. Wir würden die USA wohl kaum als eine handlungsfähige
oder gar überhaupt ernst zu nehmende weltpolitische Einheit ansehen, wenn das
so geregelt wäre. Sollte die EU tatsächlich ein Bundesstaat werden wollen,
müssten Großbritannien und Frankreich die Verfügungsgewalt über ihre
Nuklearstreitmacht an die EU-Entscheidungsebene abtreten. Ebenso verhält es
sich mit dem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Auch hier wieder der
Vergleich: Stellen wir uns vor die Vereinigten Staaten von Amerika hätten
keinen Sitz im Sicherheitsrat, dafür aber Kalifornien und Texas. Wer würde die
USA als eine politische Einheit ansehen? Wer wäre für die Staaten der Welt wohl
der bevorzugte Verhandlungspartner, das Außenministerium in Washington
oder die Regierungen von Kalifornien und Texas?
Die EU ist heute trotz Euro
und Fiskalunion kein Bundesstaat
Die EU ist heute trotz
gemeinsamer Währung kein Bundesstaat, und wäre es auch nicht bei vertiefter
wirtschaftspolitischer Kooperation und Fiskalunion, weil jedes Mitgliedsland
weiterhin souverän über seine Außenpolitik und der zentralen Frage von Krieg
und Frieden entscheidet. Im Extremfall kann es sogar sein, dass sich ein Teil
der EU im Krieg befindet und ein anderer Teil der EU nicht, was mit der Idee
eines Bundesstaates vollkommen unvereinbar ist. Im Libyenkonflikt haben Frankreich
und Großbritannien militärisch interveniert, Deutschland hat sich hingegen im
Sicherheitsrat enthalten und sich nicht an der Intervention beteiligt. Ebenso
verhielt es sich im letzten Irakkrieg. In einem Bundesstaat wäre das nicht
möglich: Würde zum Beispiel Schleswig-Holstein Krieg gegen Dänemark führen und
sich Bayern gleichzeitig neutral verhalten, würde man die Bundesrepublik wohl
weder als Staat noch als Bundesstaat ansehen. Oder würde Texas sich in einer
militärischen Auseinandersetzung mit Mexiko befinden, während sich Oregon für
neutral erklärt, dann die USA wohl ebenso wenig. Ein solches Szenario kann sich
für die EU jederzeit wiederholen. Nehmen wir an, Syrien würde die Grenze der
Türkei militärisch verletzen und die NATO würde den Bündnisfall erklären, dann
wären alle Nato-Mitglieder der EU zur Unterstützung der Türkei, die kein
EU-Mitglied ist, verpflichtet, die Nicht-Nato-Mitglieder aber nicht. Würde sich
der Konflikt immer weiter ausweiten, würde viele EU-Staaten militärisch immer
weiter involviert, während die EU-Mitglieder, die nicht der NATO angehören,
Schweden, Finnland, Österreich und Irland sich auf ihre Neutralität
zurückziehen könnten. In einem Staatenbund ist das möglich, im Bundesstaat
nicht.
Alle EU-Staaten müssten in die
NATO eintreten oder austreten
Wollte die EU ein Bundesstaat
werden, dann müssten entweder alle EU-Staaten aus der Nato austreten, oder die
Nato-Mitgliedschaft müsste für alle Mitglieder verbindlich sein und alle
Neumitglieder würden automatisch Mitglied der Nato werden oder was noch
schlüssiger wäre, die EU müsste als Ganzes der NATO beitreten. Die Neutralität
einzelner Staaten und die gleichzeitige Bündnisverpflichtung einer Mehrheit von
Gliedstaaten sind mit dem Modell des Bundesstaates nicht vereinbar. Man stelle
sich vor, in Deutschland wären die Mehrheit der Bundesländer Mitglied der Nato,
das Saarland, Bremen und Berlin aber nicht oder in den USA wären einige
Bundesstaaten NATO-Mitglied und andere nicht. Ein Bundesstaat setzt definitiv
identische völkerrechtliche Verpflichtungen voraus. Das hieße, dass bisherige
völkerrechtliche Verpflichtungen revidiert und neu verhandelt werden müssten.
Streng genommen könnte etwa Großbritannien in einem europäischen Bundesstaat
nicht mehr Mitglied im Commonwealth of Nations sein, sondern nur noch die EU
als Ganzes. Im Bundesstaat ist der Bundesstaat das Rechtssubjekt des
Völkerrechts und nicht die Einzelstaaten. Das heißt ein Bundesstaat setzt
voraus, dass nur noch der Bundesstaat völkerrechtlich bindende Verträge eingehen
kann.
Die Hürden für die Schaffung
eines europäischen Bundesstaates
Das Schicksal der Idee von den
„Vereinigten Staaten von Europa“, gemeint ist der europäische Bundesstaat,
hängt also davon ab, ob die EU-Mitglieder, einschließlich der Nuklearmächte und
Sicherheitsratsmitglieder Frankreich und Großbritannien, bereit sind, ihre
Souveränität in außen- und sicherheitspolitischen Fragen uneingeschränkt und
unwiderruflich an die EU-Ebene abzutreten und ihre Truppen in neu zu schaffende
EU-Kommandostrukturen einzugliedern und diesen unterzuordnen. Die Entscheidung
über völkerrechtlich verbindliche Verträge, Militäreinsätze und Bündnisse würde
ebenfalls auf die EU-Ebene übertragen. Daraus folgt auch, dass die neutralen
Staaten in der EU entweder der NATO beitreten müssten, wenn die EU im Ganzen
sich entscheidet Mitglied der NATO zu sein. Oder die EU im Ganzen müsste aus
der NATO austreten und ihre Sicherheitspolitik ohne das transatlantische
Bündnis organisieren. Dies gilt auch für alle anderen internationalen Mitgliedschaften
und Bündnisse. Ein Bundesstaat EU könnte entweder im Ganzen Mitglied einer
internationalen Organisation sein oder eben nicht. Nicht zuletzt, müsste eine
solche endgültige Souveränitätsverlagerung in allen Einzelstaaten per
Referendum von der Bevölkerung beschlossen werden.
Dr.Gérard Bökenkamp ist Referent für Grundsatz und Forschung im Liberalen Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.
Entweder EU Tritt von Nato bündnis oder Österreich Tritt aus der EU
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