Seit dem Beginn
der Eurokrise macht die Sorge vor dem Staatsbankrott Griechenlands die Runde.
Durch die Weigerung der neuen Linksregierung in Griechenland ihre
Verpflichtungen gegenüber den Gläubigerstaaten zu erfüllen, ist diese
theoretische Option in den Bereich des
Möglichen gerückt. Selbst ein noch schnell mit heißer Nadel gestrickter
Kompromiss wird daran nichts ändern, dass Griechenland auf absehbare Zeit ein
heiß gehandelter möglicher Kandidat für die Zahlungsunfähigkeit und
Unwilligkeit sein wird. Da die Eurozone nach wie vor eine Vertragsgemeinschaft
souveräner Staaten ist, ist die Frage, wie mit der Möglichkeit eines
Staatsbankrotts umzugehen ist, von grundsätzlicher Bedeutung. Denn bislang sieht das Völkerrecht eine
geordnete Staatsinsolvenz nicht vor.
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NDR extra 3 2012 |
Das Völkerrecht zieht enge Grenzen für den
Staatsbankrott
Das Völkerrecht
zieht enge Grenzen für einen Staat, sich einseitig für zahlungsunfähig zu
erklären. Hier gilt der Grundsatz „pacta
sunt servanda“. Es gibt zwei Gründe für eine einseitige Aufhebung der
Zahlungsverpflichtungen, die in den vergangenen Jahren wenigstens diskutiert
wurden. Das sind die Zahlungsverweigerung wegen der Sittenwidrigkeit der
Kreditvergabe und die
Zahlungsverweigerung aufgrund einer nationalen Notlage. Dabei stößt die erste
Rechtfertigung unter Völkerrechtlern weitgehend auf Ablehnung, während die
zweite allgemein akzeptiert ist.
Zahlungsverweigerung wegen Sittenwidrigkeit
Es wurde besonders
von globalisierungskritischer Seite argumentiert, dass Verbindlichkeiten aus
Krediten gegenstandslos seien, wenn die Mittel offensichtlich zur Finanzierung
völkerrechtswidriger Kriege oder der Verletzung von Menschenrechten eingesetzt
worden sind. Im Falle Argentiniens erklärte die Regierung zum Beispiel, die
Kreditvergabe an die argentinische Militärdiktatur sei sittenwidrig gewesen.
Deshalb müsse Argentinien für Verbindlichkeiten aus dieser Zeit nicht mehr
aufkommen. Diese Argumentation Argentiniens fand unter Völkerrechtlern keine
Zustimmung. Aber selbst, wenn man dieses Argument akzeptiert würde, so wäre
dieser Ansatz im Falle Griechenlands wohl kaum anwendbar. Die Schulden Griechenlands
und die Verpflichtungen gegenüber den Gläubigerstaaten wurden von demokratisch
gewählten Regierungen abgeschlossen und Griechenland ist als Teil der
Europäischen Union an die Einhaltung von Bürger- und Menschenrechten gebunden.
Zahlungsverweigerung aufgrund nationalen
Notstandes
Der zweite
Grund, der dafür angegeben wird, dass Staaten ihre Zahlungsverpflichtungen im
Einklang mit dem Völkerrecht einseitig aussetzen dürfen, ist das Vorhandensein
eines nationalen Notstandes. Einen nationalen Notstand begründen
unvorhersehbare Ereignisse wie Kriege und Naturkatastrophen. Nach Ansicht von
Völkerrechtlern können auch unvorhersehbare Wirtschaftskrisen, deren
Auswirkungen ähnlich verheerend sein können, dazu führen, dass
Zahlungsverpflichtungen im Einklang mit dem Völkerrecht einseitig ausgesetzt
werden dürfen.
Entscheidend dabei ist aber, dass der insolvente Staat diese Katastrophe nicht durch eigenes Handeln herbeigeführt oder wissentlich in Kauf genommen hat. Die mit einem nationalen Notstand begründete Zahlungsaussetzung setzt außerdem voraus, dass durch die Erfüllung der Verpflichtungen andere als schützenswert anerkannte Güter wie die Menschenrechte in Gefahr sind: „Löst die Tilgung von Krediten also schwere Versorgungskrisen aus und stellt die Daseinsfürsorge der Bevölkerung in Frage, darf der Schuldnerstaat die Zahlung nicht leisten und der Gläubigerstaat sie nicht verlangen.“ (Kämmerer, 2005)
Gibt es in Griechenland einen nationalen
Notstand?
Gibt es in
Griechenland einen nationalen Notstand entsprechend der Kriterien, die vom
Völkerrecht akzeptiert werden? Den politischen Druck, der durch die Erwartung
der Bevölkerung auf der neuen griechischen Regierung lastet, hat diese durch
ihre Wahlversprechen selbst erzeugt. Dem gegenüber besteht aber kein Zweifel
daran, dass die griechische Bevölkerung in den letzten Jahren erhebliche
soziale Härten erfahren hat. Ob das aber eine Bedrohung der Daseins-Vorsorge
ist, die die Kriterien für einen nationalen Notstand im Sinne des Völkerrechts
erfüllt, ist fraglich.
Die Folgen für die Versorgung der Bevölkerung müssten mit den Konsequenzen einer Naturkatastrophe, einer Dürre oder eines Krieges vergleichbar sein. Ein stark gesunkener Lebensstandard erfüllt diese Kriterien mit Sicherheit nicht. Insbesondere deshalb nicht, weil die soziale Lage der Bevölkerung in anderen EU-Staaten wie Rumänen oder Bulgarien nicht besser als in Griechenland ist, in diesen Fällen aber von Politik und Öffentlichkeit nicht als Notstand wahrgenommen wird.
Selbst wenn es sich in Griechenland um eine Form von nationalem Notstand handeln würde, würde das nicht bedeuten, dass die Kredite abgeschrieben werden dürften. Aus einem solchen Notstand resultiert völkerrechtlich lediglich das Recht auf einen Aufschub der Zahlungsverpflichtungen bis dieser Notstand überwunden ist.
Fazit
Beim Stand des
heutigen Völkerrechts, das eine Insolvenzordnung für Staaten nicht kennt, hat Griechenland keinerlei rechtliche Handhabe
einseitig einen weiteren Schuldenschnitt zu erzwingen. Es ist auf das
Entgegenkommen der Gläubiger angewiesen und kann ohne deren Zustimmung keine
Fortschritte erreichen. Auch wenn Griechenland seine Verpflichtungen de facto
nicht mehr erfüllen würde, blieben die Verbindlichkeiten rechtlich gesehen
weiter bestehen. In diesem Fall würde sich Griechenland außerhalb des Völkerrechts
stellen. Das Griechenland-Debakel sollte Anlass sein, grundsätzlich über den
Umgang mit dem Thema Staatsinsolvenz innerhalb der Eurozone nachzudenken.
Gérard Bökenkamp
ist Referent für Grundsatz und Forschung im Liberalen
Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
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