In Griechenland ist der politische Umbruch in
vollem Gange. Bereits 2 Tage nach den Parlamentswahlen hat der neue
Ministerpräsident Alexis Tsipras von der Linksallianz Syriza zusammen mit
seinem rechtspopulistischen Koalitionspartner den unabhängigen Griechen
(Anel) das neue Kabinett ernannt. Die
neue Regierung wird klar von Syriza Mitgliedern dominiert. Die unabhängigen
Griechen bekommen lediglich den Posten des Verteidigungsministers, den ihr
Parteichef Panos Kammenos einnehmen wird. Kammenos setzt sich für
ein stärkeres Vorgehen gegen illegale Einwanderung ein und fordert
Reparationszahlungen von Deutschland für die Besatzungszeit im zweiten
Weltkrieg.
Neuer
Finanzminister wird der Ökonom Giannis Varoufakis, ein scharfer Kritiker der
EU-Rettungsmaßnahmen, die er als "fiscal waterboarding" bezeichnete. Varoufakis war zuvor
Wirtschaftsprofessor an der Universität Athen und ist dort vor allem als
starker Befürworter für Eurobonds bekannt. Der motorradfahrende
Wirtschaftsprofessor mit
rebellischem Image wird zukünftig die angekündigten Verhandlungen über einen
Schuldenschnitt führen. Der französischen
Zeitung La Tribune sagte er: "Was immer die Deutschen sagen, am Ende
werden sie immer zahlen". Allerdings hört man von Varoufakis außer solchen kecken Äußerungen
auch moderate Vorschläge zur Lösung der griechischen Schuldenfrage. In einem Interview mit
der spanischen Tagesszeitung El Mundo schlug er vor, die Zurückzahlung der
EU-Hilfspakete abhängig zu machen von dem nominalen Wirtschaftswachstum Griechenlands.
Zukünftig
kommt Giannis
Dragasakis als stellvertretender Ministerpräsident eine übergeordnete
Rolle bei der Koordinierung von Wirtschaft und Finanzen zu. Der
Wirtschaftswissenschaftler hält ebenso wie Giannis Varoufakis einen
Schuldenschnitt für die einzige nachhaltige Lösung des griechischen
Schuldenproblems und wird ebenfalls an den Verhandlungen mit der EU teilnehmen.
Er wird voraussichtlich eine gemäßigtere Rolle im Gegensatz zu dem draufgängerischen
Varoufakis spielen. Zusammen mit dem neuen Wirtschaftsminister Giorgos
Stathakis gehören sie zu den drei Wirtschaftsexperten von Syriza, die Wachstum
und Investitionen wiederherstellen sollen. Zuvor war Stathakis Professor für politische Ökonomie an
der Universität Kreta.
Wirtschaftsminister Stathakis
sorgte schon kurz nach Amtsantritt für Aufruhe mit seiner Ankündigung mehrere
geplante Privatisierungen zu stoppen. So wurden die mit der Troika vereinbarten
Privatisierungen des Hafens von Piräus und des staatlichen Energieversorgers
PPC vorerst auf Eis gelegt. Zudem könnte der neue politische Wind in Athen auch
weiteren Privatisierungsvorhaben ein Ende bereiten, wie zum Beispiel dem
Flughafenbetrieb und den Staatseisenbahnen. Die umfassende Privatisierung von
Staatsunternehmen gehört indes zu den Auflagen der
Troika für Hilfskredite. Außerdem kündigte die neue griechische
Regierung eine Anhebung des Mindestlohns von 580 auf 751 Euro und eine
Wiedereinstellung Tausender entlassender Staatsbeamter an. Alle diese Maßnahmen
sind nicht im Einklang mit den Stabilitätsvorgaben der Troika.
Zudem bahnt sich ein
außenpolitischer Konflikt zwischen Griechenland und der EU an. Tsipras hatte
sich kürzlich distanziert von einer gemeinsamen Erklärung der
EU-Regierungschefs hinsichtlich des Raketenbeschusses der ukrainischen
Hafenstadt Mariupol, die neue Sanktionen gegenüber Russland erwägt. Tsipras
zufolge sei Athen nicht protokollgemäß konsultiert worden, wohingegen
EU-Außenbeauftrage Mogherini erwiderte, dass Griechenland über die geplante
Erklärung informiert worden sei und in solchen Fällen ein ausbleibendes Veto
als Zustimmung gewertet würde. Ob Tsipras neue Sanktionen wirklich blockieren
möchte, bleibt weiterhin unklar. Es ist abzusehen, dass Griechenland, das starke
wirtschaftliche und religiöse Verbindungen zu Russland hat, unter der neuen
Regierungskoalition einen gemäßigt russlandfreundlichen Kurs mit wenig
Begeisterung für neue EU-Sanktionen gegen Russland fahren wird.
Wird sich die neue
griechische Regierung also in Zukunft eher konfrontativ gegenüber der EU
verhalten oder den Konsens mit ihr suchen? Obwohl es für Beides Anzeichen gibt
werden die nächste Monate wohl vor allem von Spannungen zwischen Griechenland
und der EU geprägt sein. Ministerpräsident Tsipras hat angegeben, keinen Bruch
mit der EU anzustreben; aber zumindest beachtliche Erschütterungen des
Verhältnisses zeichnen sich deutlich ab. "Unser Chef ist kein anderer als
das Volk" verkündete Tsipras vor kurzem. Zumindest darin entspricht er rhetortisch dem
Englischen Premier David Cameron, der gerne sagte: "British
voters, not Barroso, are my boss" – das gilt auch und erst recht für den
neuen EU-Chef Jean-Claude Juncker.
Klar ist, dass
Tsipras seine zahlreichen Wahlversprechungen an das griechische Volk wie den
Schuldenschnitt, Steuersenkungen, Investitionsprogramme und Sozialleistungs-Erhöhungen nur sehr begrenzt wird
halten können. Seitens der EU und besonders aus Deutschland ist noch keine
große Bereitschaft zu erkennen, die Konditionen für die griechischen Schulden
grundlegend zu verändern. Tsipras wird also mit seinen ambitionierten Reformvorhaben
an die Grenzen der Realpolitik stoßen und dabei zweifellos auch mit der EU in
Konflikt geraten.
Gleichermaßen
bedenklich ist auch der neue Russlandkurs Griechenlands. Gerade bei der
schwierigen Gestaltung der EU-Außenpolitik ist es essentiell, dass die
Mitgliedsstaaten auf einer Linie sind. Allerdings leidet Griechenland durch
seine engen wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland besonders unter den
Sanktionsmaßnahmen, und es gibt aufgrund des gemeinsamen orthodoxen Glaubens
auch generell prorussische Sentiments in der griechischen Gesellschaft. Eine
Russland zugeneigte Außenpolitik Griechenlands hätte indes verheerende
Auswirkungen auf jegliche EU-Bestrebungen, im Ukrainekonflikt zu intervenieren.
Der estnische Abgeordnete Tunne Kelam sprach in einem Interview mit
Der ZEIT die Befürchtung aus: "Griechenland könnte sowohl in der EU als auch der
Nato zum Trojanischen Pferd Russlands werden".
Andererseits gibt es
auch Anzeichen dafür, dass die neue Regierung in Griechenland den Konsens mit
der EU suchen wird. Tsipras selbst wünscht sich eine "produktive
Zusammenarbeit" mit der EU auch wenn er nicht mehr bereit ist,
europäische Forderungen kommentarlos umzusetzen. Aber eine große Mehrheit der
Syriza-Partei will im Euroraum bleiben und ist sich der Abhängigkeit ihres
Landes von europäischer Solidarität wohl bewusst. Bei der Ernennung seiner
Minister ist aufgefallen, dass Ministerpräsident Tsipras vor allem renommierte
Akademiker einberufen hat. Dies könnte ein Zeichen Richtung Brüssel
sein, dass Ministerposten in Athen auch an kompetente und
verantwortungsbewusste Kandidaten
vergeben werden und nicht an Parteilakaien, die blind der Linie von Syriza
folgen. So will sich diese neue Regierung als ernstzunehmender europäischer Partner
etablieren und könnte früher oder später auch die Grenzen ihres
Reformprogrammes akzeptieren.
Nach
einem Treffen von Martin Schulz und Alexis
Tsipras in Athen zeigte der EU-Parlamentspräsident sich zunächst beruhigt und
verkündete, dass die griechische Regierung nicht vorhabe "Alleingänge zu machen“. Schulz bekräftigte:
"Griechenland sucht Lösungen auf einer
gemeinsamen Grundlage mit seinen europäischen Partnern". Allerdings ist sich Schulz auch sicher, dass
"die Debatten sehr kontrovers sein werden". Es gebe aber viele
Vorhaben von Ministerpräsident Tsipras, die von der EU vollkommen unterstützt
werden. Zum Beispiel beabsichtigt Tsipras die Steuerhinterziehung der
griechischen Oligarchen drastisch einzuschränken. Dieses Vorhaben ist auch ein
Schwerpunkt der neuen EU-Kommission. Kommissionspräsident Juncker zeigte
Verständnis für die Probleme Griechenlands und betonte, dass man das
"universelle Leid in Griechenland" kenne und gewisse Arrangements
möglich seien.
Nichtsdestotrotz steht
der EU und der neuen griechischen Regierung ein
schwieriger Weg bevor. Sowohl Griechenland als auch die EU werden Kompromisse
eingehen müssen, wobei die EU jedoch fraglos am längeren Hebel sitzt. Tsipras
hat bereits gezeigt, dass er zu unkonventionellen bis zu drastischen Maßnahmen
bereit ist, um die Austeritätspolitik in Griechenland zumindest zu mildern. Durch seine
Russlandpolitik will er (und nicht zuletzt sein neuer Außenminister) Brüssel
zeigen, dass Griechenland als souveräner Staat sehr wohl noch ein Wörtchen
mitzureden hat in der EU.
Vielleicht
hat der neue griechische Ministerpräsident mit seiner Haltung gegenüber
Russland auch noch einen Trumpf in der Hand, da die EU gegenüber Russland
möglichst geschlossen auftreten möchte. Ob Griechenland mit diesem
geopolitischen Poker wirklich eine Aufweichung der EU-Auflagen erreichen kann
bleibt abzusehen. Dem griechischen Volk stehen jedoch wieder einige Enttäuschungen
bevor, da viele Reformbestrebungen von Syriza nicht umsetzbar sind. Immerhin könnten
sich viele Griechen wohl zukünftig wieder als gleichberechtigtere Europäer
fühlen, aufgrund der schlagfertigeren Außenpolitik ihres neuen
Ministerpräsidenten.
Bodo von Haumeder hat an
der Universiteit van Amsterdam (UvA) einen M.A. in European Politics (Honours
Programme) abgeschlossen und ist Praktikant bei Open Europe Berlin.
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