Ist weniger manchmal auch mehr? Diese Frage hört man in
letzter Zeit häufig. Meistens im Zusammenhang mit Kapitalismus. Schaden nicht
die großen Konzerne mit ihren hochkomplexen und undurchsichtigen Strukturen
der Gesellschaft, weil sie nur für sich selbst arbeiten, ungeachtet was der
Gesellschaft als Anleger und Steuerzahler dabei passiert? Wäre es nicht besser, alle Konzerne zu zerschlagen und per Gesetz klein zu halten?
Genau diese Frage wird nicht gestellt, wenn es um die EU
geht. Dabei ist diese ebenfalls hoch komplex und undurchsichtig für den Bürger.
Dieser trägt als Steuerzahler trotzdem am Ende die Rechnung.
Dennoch sprechen sich fast alle Parteien für “mehr EU”
aus, nicht nur in Deutschland: Eine gemeinsame Währung gibt
es schon, dazu soll noch eine Bankenunion kommen, eine Wirtschaftsregierung,
mögliche Eurobonds - quasi eine Schuldenunion um nur einige zu nennen.
Liberale lehnen diesen Ansatz ab. Ralph Raico, Historiker
am Buffalo State College, untersuchte die wirtschaftliche Geschichte Europas und
insbesondere, was die enorme wirtschaftliche Entwicklung in den vergangen
Jahrhunderten ausmachte um daraus Empfehlungen für die Zukunft abzuleiten. Der
vollständige Aufsatz kann hier eingesehen werden:
Auffällig ist, dass
Europa sich ab dem Mittelalter deutlich besser als andere Kontinente
entwickelte. Raico führt diese Entwicklung auf das Privatunternehmertum in
Europa zurück, was aufblühen konnte, weil Europa radikal dezentral organisiert
war:
“Auch wenn geographische Faktoren eine Rolle spielten, war der Schlüssel zur westlichen Entwicklung, dass obwohl Europa einheitlich römisch-christlich geprägt war, es sich trotzdem im höchsten Maße dezentral darstellte“.
Nach dem Fall des Römischen Reiches, konnte sich kein
dominantes Imperium herausbilden, stattdessen bestand Europa aus vielen
zersplitterten Gebietskörperschaften, jede mit eigenem Herrscher.
“In diesem System wäre es für einen Fürsten sehr unklug gewesen, Eigentumsrechte zu missachten. [...] In dauerhafter Rivalität miteinander, fanden die Fürsten heraus, dass Enteignungen, übermäßige Besteuerung und das Verhindern von Handel nicht ungestraft blieben. Die Strafe bestand darin, dazu verdammt zu sein, zusehen zu müssen, wie sich die Rivalen wirtschaftlich relativ besser entwickelten; häufig durch Kapitalwanderungen, von Kapitalisten, die in Nachbarreiche zogen”.
Im Mittelalter existierte quasi ein Wettbewerb der
Ordnungen. Das Land mit der besten
Ordnung erwirtschaftete den größten Wohlstand. Genau wie Kapital in das
Unternehmen mit der höchsten Profitabilität investiert wird, fließt Kapital in
das Land, in welchem man sich verspricht die höchste Rendite erwirtschaften zu
können. Raico vergleicht in seinem Aufsatz Staaten mit Kapitalgesellschaften,
die jede ihre Investitionschancen boten, welche sich im vor allem durch
garantierte Freiheiten und den Zugang zu Humankapital darstellten. Infolge der
Investitionen in diesem Land blühte es auf und löste einen Vorzeigeeffekt aus,
welcher andere Länder beeindruckte und Anreize schaffte ähnliche Ressourcen und
Freiheiten zu bieten.
Als Beispielland nennt Raico die Republik der Niederlande
welche ihre Blütezeit im 18. Jahrhundert hatte. Was die Niederlande so stark
machte, war nicht zuletzt eine dezentrale innere Ordnung:
“Mit dem Aufschwung Hollands haben wir ein fast perfektes Beispiel für das europäische Wunder in Aktion. [...] “Das Land schwang sich zu der wirtschaftlich dynamischsten europäischen Nation auf und war alles andere als ein unterentwickeltes Land, nachdem sie im 16. Jahrhundert gegen den spanischen Imperialismus rebellierten und sich befreiten“ (Cipolla 1981, 263). Sie schuldeten ihre Freiheit dem dezentralen Staatensystem Europas und wuchsen dann auch selbst als dezentral organisiertes Land hervor, ohne König und Hof, ein ‘kopfloses Commonwealth’”[...]
Kurz gefasst: Imperialismus hemmte in der Geschichte
Fortschritt und Entwicklung, Wettbewerb generierte Wohlstand. Geschichtlich
betrachtet, hat weniger Zentralismus zu mehr Wohlstand geführt.(s.a. der letze Blogbeitrag von Christoph Heuermann)
Zwar kann bei einer freiwilligen Kompetenzabtretung an
die EU von Imperialismus nicht die Rede sein,
ein zentralisiertes Europa bedroht dennoch den Wettbewerb der Ordnungen,
der Europa laut Raico in der Vergangenheit so stark gemacht hat.
Ein Großteil dieses Wettbewerbes der Ordnungen ist
bereits verschwunden: Deutschland bestand im 18. Jahrhundert noch aus etwa 300
einzelnen Herrschaftsgebieten, die miteinander konkurrierten. Da alle diese
Gebiete Deutsch sprachen, war der Wettbewerb besonders intensiv. Es gibt zwar
immer noch Bundesländer in Deutschland, diese sind jedoch nicht autonom und
Bundesrecht bricht Landesrecht.
Im heutigen Europa sind große Gebiete einem Rechtssystem
unterworfen. Dabei ist es fast unmöglich in ein anderes Land zu ziehen, ohne
dazu eine fremde Sprache zu beherrschen und dessen Kultur zu verstehen.
Es kann sicherlich
auch argumentiert werden, dass mit der vernetzten Welt der Wettbewerb der
Ordnungen sogar viel stärker ist, weil zum Beispiel Standortverlagerungen
einfacher sind. Dabei sollte man jedoch nicht übersehen, dass die Welt als
gesamtes kulturell viel heterogener ist als es Europa war. Und, selbst wenn
dies kein Hindernis darstellt, ist die Präsenz eines weltweiten Wettbewerbs
der Ordnungen kein Grund und keine Entschuldigung diesen Wettbewerb in Europa
zu verhindern.
Soweit zur historischen Analyse.
Michael Wohlgemuth arbeitet in seinem Papier “Boundaries of the State” eine wesentlich detailliertere ökonomische Analyse aus. Diese
verfolgt einen anderen Ansatz und modelliert die EU als Club, welcher den
Mitgliedsstaaten bestimmte Güter anbietet:
Zollfreiheit durch den Binnenmarkt, geringere Transaktionskosten durch
eine Währungsunion, und Umverteilung durch die Agrar- und Strukturpolitik (Was
einer Wirtschaftsregierung, die prozesspolitisch aktiv, ist entspricht).
Die optimale Größe eines gemeinsamen Marktes sei, so
Wohlgemuth, die ganze Welt. Ein gemeinsamer Markt sorgte für Effizienzgewinne,
verschärft den Wettbewerb und schafft Anreize für Innovationen. Von
Strukturpolitik sei jedoch grundsätzlich abzuraten, die optimale Menge sei
Null. Folgerichtig ist auch die Übertragung derartiger Kompetenzen zur EU nicht
sinnvoll.
Auch eine ökonomische Analyse kommt also zu demselben
Ergebnis, dass eine Kompetenzerweiterung der EU oft nicht vernünftig ist,
sondern kleinere Akteure bessere Ergebnisse liefern.
Abschließend kann man sagen, dass wenn man die Geschichte
betrachtet, eine Erweiterung der Kompetenzen der EU schädlich wäre. Der
Wettbewerb der Ordnungen wird intensiver, je konsequenter das
Subsidiaritätsprinzip angewendet werden muss. Wichtige Maßnahmen die mit
größerem Ausmaß besser werden, wie die Freihandelszone, wurden bereits
getroffen und eine Erweiterung des Freihandelsgebiets ist sinnvoll. Ein
Einheitssystem mit Fiskalunion, Wirtschaftsregierung und vielleicht sogar
Schuldenunion ist jedoch bei historischer und ökonomischer Betrachtung
gefährlich, wohingegen Wettbewerb der Ordnungen zu Entwicklung und Wohlstand
geführt hat.
Kann Europa aus seiner Geschichte lernen?
Friedrich
Lucke studiert Volkswirtschaftslehre an der Universität Freiburg.
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