Die Europäische Währungsunion weist durchaus Konstruktionsmängel
auf. Sie ist nun einmal Menschenwerk. Wir dürfen sie aber nicht an
Idealmodellen akademischer Lehrbücher messen. Vergleichen müssen wir sie schon mit
Beispielen aus dem wahren Leben, also mit entwickelten Wirtschaftsräumen
nennenswerter Größe. Und da schneidet der Euroraum nicht schlecht ab. In den 14
Jahren seit der Geburt des Euro sind die Staatsschulden im Euroraum um einen
Betrag gestiegen, der 20% der Wirtschaftsleistung entspricht. In den USA und
Großbritannien liegt der Anstieg bei 43% und 46%, in Japan bei 119%. Auf Basis
vergleichbarer Zahlen leistete sich die Eurozone 2012 ein Staatsdefizit von 3,1%
des BIP gegenüber 8,6% in den USA, 8,1% in Großbritannien und 10,2% in Japan.
Und nirgendwo sonst hat die Zentralbank die Preisstabilität über 14 Jahre so
zielgenau bewahrt wie in der Eurozone. Wieso sollte man angesichts dieser
Fakten ausgerechnet den Euro abschaffen? Der neue Stabilitätspakt, die Schuldenbremse
und die geplante Bankenunion sind geeignet, einige der verbliebenen Mängel des
Euro zu beheben.
Der Hinweis, Europa habe vor
der Währungsunion „gut funktioniert“, ist schlicht falsch. Vor der
Währungsunion sind die Staatsschulden in der Eurozone schneller gestiegen als in
den USA und Großbritannien. Erst seit die künftigen Euro-Länder sich für das
Gemeinschaftsgeld qualifizieren und sich dann der Disziplin der neuen Währung
unterwerfen mussten, schneidet die Eurozone besser ab. Ohne die aus den USA
nach Europa herübergeschwappte Lehman-Krise wären die staatlichen
Schuldenquoten in der Eurozone heute niedriger als Ende 1998.
In unserer verklärenden Erinnerung an vermeintlich gute alte
Zeiten übersehen wir oft, das Europa vor dem Euro immer wieder durch
Währungskrisen erschüttert wurde, beispielsweise 1971, 1973, 1978, 1982-1984
sowie 1992 und 1993. In diesen Krisen griff die Deutsche Bundesbank immer wieder
massiv in die Märkte ein. Die häufigen Währungskrisen – und die Reaktion der
Bundesbank darauf – waren ein Grund dafür, weshalb die Bundesbank uns in den vier
Jahrzehnten vor dem Euro pro Jahr einen Geldwertschwund von im Schnitt 2,9%
beschert hatte. Seit dem Start des Euro liegt die deutsche Inflation dagegen
bei 1,55%.
Der harte Euro hat einen großen
Vorteil: Er versperrt seinen Mitgliedern den bequemen Ausweg. Sie können ihre hausgemachten
Probleme nicht mehr durch ein Abwerten einer eigenen Währung kurzfristig
entschärfen. Stattdessen zwingt der Euro sie dazu, sich ihren wahren Problemen
zu stellen. Sie müssen die strukturellen Ursachen für eine mangelnde
Wettbewerbsfähigkeit beseitigen, statt über eine Abwertung nur am Symptom
herumzudoktern. Das ist schmerzhaft, wie die aktuelle Krise zeigt. Aber es ist
heilsam. Denn eine Schwachwährung löst kein Strukturproblem. Sie führt auf
Dauer nur zur Inflation. Auch für Spanien, Portugal oder Griechenland wäre das
kein Erfolgsrezept.
Die Diskussion über eine
„fehlende Ausscheidemöglichkeit“ verfehlt das Thema. Es gibt keine Brüsseler
Armee, die ein Mitgliedsland mit Gewalt im Euro halten würde.
Selbstverständlich könnte jedes Mitgliedsland souverän für sich entscheiden,
aus dem Euro auszusteigen. Es müsste aber die möglicherweise katastrophalen
Konsequenzen des Übergangs zu einem eigenen Weichgeld tragen. Vor dieser Art
volkswirtschaftlichem Selbstmord sind zum Glück alle Krisenländer bisher
zurückgeschreckt.
EZB: Eine
erfolgreiche Geldpolitik
In den letzten 14 Jahren hat die Europäische Zentralbank die
Preisstabilität besser gewahrt als jede andere Zentralbank eines westlichen
Landes nennenswerter Größe. Ihre Geldpolitik ist gut. Im Einklang mit nahezu
allen volkswirtschaftlichen Lehrbüchern sahen die Statuten der EZB von Anfang
an vor, dass sie auch Staatsanleihen kaufen und verkaufen darf. Dies gehört zu
den normalen Instrumenten der Geldpolitik, um die Liquiditätslage der
Wirtschaft und die Konjunkturerwartungen der Märkte zu steuern. Die eigentliche
Frage ist, ob die EZB mit bestimmten Instrumenten Geldpolitik betreibt, oder
stattdessen Staaten finanziert. Dies wäre der EZB nicht erlaubt.
Schauen wir zunächst auf die Fakten. Nachdem die
Lehman-Krise Ende 2008 die westliche Welt in die schwerste Rezession seit 80
Jahren gestoßen hatte, haben viele Zentralbanken Staats- und Hypothekenpapiere
gekauft, um ihrer Geldpolitik Nachdruck zu verleihen. In Großbritannien
erreichen diese Anleihekäufe bereits 25% der Wirtschaftsleistung und in den USA
knapp 20%. Die EZB hat dagegen nur Anleihen im Umfang von 3% des BIP erworben.
Zudem ist die EZB die einzige der großen westlichen Zentralbanken, die seit 17
Monaten keine einzige Anleihe mehr gekauft hat und deren Bilanzsumme auch
deshalb spürbar schrumpft, seit Ende Juli 2012 um 22%. Angesichts dieser Fakten
lässt sich die heutige Politik der EZB nun wirklich nicht als „brandgefährlich“
einstufen.
Brandgefährlich war dagegen die Lage in Europa Mitte 2012. Inmitten
einer ausufernden Vertrauenskrise war die Geldpolitik der EZB ab Mitte 2011
nahezu wirkungslos verpufft. In Randeuropa grassierte die Angst vor einem
Platzen des Euro, in Kerneuropa lösten die Turbulenzen einen Einbruch des
Geschäftsklimas und der Investitionen aus. Trotz Niedrigstzinsen und
Liquiditätsschwemme rutschte selbst Deutschland aus der Hochkonjunktur von
Mitte 2011 an den Rand einer Rezession. Nachdem kein anderes Instrument gewirkt
hatte, um die Lage zu stabilisieren, kündigte die EZB im August 2012 an,
notfalls in einem vorab nicht ausdrücklich begrenzten Umfang kurzlaufende
Staatsanleihen jener Reformländer zu kaufen, denen der Deutsche Bundestag –
über den ESM - hinreichende Reformfortschritte bescheinigt hat. Seit die EZB dieses
Machtwort gesprochen hat, keimt überall in der Eurozone die Hoffnung auf ein
Ende der großen Krise und einen neuen Konjunkturfrühling. Die Geldpolitik
beginnt wieder zu greifen.
Die Ergebnisse zeigen eindeutig, dass die Bereitschaft der
EZB zum Noteinsatz im Krisenfall Teil einer Geldpolitik ist, die den besonderen
Umständen einer Finanzkrise Rechnung trägt. Die EZB hat es seit August 2012
geschafft, allein mit Worten eine Massenpanik an den Märkten zu beenden, ohne
in dieser Zeit eine einzige Staatsanleihe zu kaufen. Hätte die EZB dagegen
tatenlos zugesehen, wie die Eurozone und Deutschland immer tiefer in die
Rezession und letztlich in die Deflation gerutscht wären, hätte sie ihr Mandat sträflich
verletzt.
Hilfe zur Selbsthilfe
Der Maastricht-Vertrag über eine europäische Währungsunion
legt fest, dass weder die Europäische Union noch ein Mitgliedsstaat für die Verbindlichkeiten
eines anderen Mitgliedsstaates haftet. Kein Land kann gezwungen werden, die
Schulden eines anderen Landes zu übernehmen. Das ist gut so. Aber die Klausel
verbietet nicht die freiwillige Hilfe zur Selbsthilfe in Notfällen. Auch im
privaten Geschäftsverkehr hafte ich nicht für die Schulden meiner Freunde und
Nachbarn. Das verbietet mir aber nicht, notfalls einem von ihnen freiwillig zu helfen.
Als Antwort auf eine gefährliche Finanzkrise, wie es sie
seit 1929 nicht mehr gegeben hat, hat die Eurozone in den letzten Jahren einige
Mechanismen entwickelt, um Ansteckungsgefahren innerhalb der Währungsunion
einzugrenzen und eine wirtschaftliche Katastrophe für die gesamte Region
abzuwenden. Die eigentliche Frage ist, ob diese Mechanismen falsche Anreize
setzen oder stattdessen echte Wirtschaftsreformen fördern. Auch diese Frage
lässt sich nicht aus dem abstrakten Lehrbuch sondern nur anhand der Tatsachen
klären.
Seit Jahren prüft der Klub der entwickelten Länder, die
OECD, inwieweit die Mitgliedsländer echte Strukturreformen umsetzen. Der Befund
ist eindeutig. Griechenland steht seit zwei Jahren an der Spitze, gefolgt von
Irland auf Platz 2 sowie – hinter dem kleinen Estland – auch Portugal auf Platz
4 und Spanien auf Platz 5. Alle vier Euro-Staaten, denen der Deutsche Bundestag
bisher Hilfskredite bewilligt hat, finden sich unter den Top 5 der Reformliga
der OECD. Griechenland hat beispielsweise seine Renten gekürzt, seinen
Kündigungsschutz gelockert und seine Mindestlöhne drastisch gekürzt (vielfach
um 25%). Diese Länder stellen alles in den Schatten, was Deutschland sich
selbst mit der Erfolgsagenda 2010 auferlegt hatte. Und nirgendwo in der Welt
haben Staaten sich derart harten Sparprogrammen unterworfen wie in Randeuropa.
Die Krisenstaaten hatten solche Reformen auch bitter nötig. Einiges
liegt dort noch immer im Argen, manches wurde bisher nur halbherzig umgesetzt. Die
Kontrolleure bestehen zu Recht auf weiteren Reformen. Aber die Tatsachen zeigen
eindeutig, dass Europa mit seinen Hilfen an Krisenländer dort notwendige
Reformen fördert. Dies ist Hilfe zur Selbsthilfe im besten Sinne des Wortes.
Ebenso wie Eurobonds wäre ein Schuldentilgungsfonds
wirtschaftlicher Unsinn. Stattdessen müssen die Reformländer ihre
Staatshaushalte sanieren und ihre Wirtschaft wettbewerbsfähig machen. Dann
können sie auf Dauer ihre Schulden wieder tragen. Auf diesem Weg sind sie auch
dank der alles in allem klugen deutschen Euro-Politik bereits weit vorangekommen.
Die Lohnkosten der Krisenländer sinken, ihre Ausfuhren steigen, die Standortqualität
verbessert sich (für einen Überblick siehe Euro Plus Monitor, Spring 2013Update, Berenberg Bank und Lisbon Council, Brüssel, 7 März 2013)
Geordnetes Auflösen?
Seit Ausbruch der Eurokrise haben die Bürger aller
Krisenstaaten in freien Wahlen ihren Willen bekundet. Sie haben Regierungen
gewählt, die ihre Länder im Euro halten wollen und bereit sind, sich dafür
harten Spar- und Reformprogrammen zu unterwerfen. Sollte Deutschland wirklich
diesen Ländern die Hilfe zur Selbsthilfe zu verweigern, um sie damit gegen
ihren Willen aus dem Euro zu werfen? Eine solche Politik könnte die schwerste
politische Krise in Europa seit dem Bau der Berliner Mauer 1961 auslösen. Ob
die Europäische Union und ihr Binnenmarkt, auf dem ein großer Teil auch unseres
Wohlstandes beruht, diesen deutschen Treuebruch überstehen würde, ist zumindest
unklar.
Wer glaubt, den Euro in Krisenzeiten geordnet auflösen zukönnen, offenbart eine naive Unkenntnis dessen, wie sich Sparer und Anleger an
Finanzmärkten verhalten. Wie soll dieses geordnete Abwickeln denn eingeleitet
werden? Etwa so: Die Euroskeptiker gewinnen die deutsche Bundestagswahl. Drei
Wochen später wählt der Bundestag die neue Regierung, die dann Europa zu monatelangen
Verhandlungen über eine schrittweise Auflösung des Euro auffordert? Das
Ergebnis muss dann noch von mindestens 18 Ländern ratifiziert werden? Und was
machen derweil die Menschen in Randeuropa? Warten sie in aller Ruhe ab, ob sie
durch das Umstellen ihrer Vermögen in neue Schwachwährungen enteignet werden? Wohl
kaum. Allein eine ernste Gefahr, dass einzelne Länder den Euro verlassen
müssten, könnte dort eine Massenpanik der Anleger auslösen. Sofern nicht am
Abend des Wahlsiegs deutscher Euroskeptiker der Zahlungsverkehr in Europa massiv
eingeschränkt und damit die Wirtschaft stranguliert würde, wären viele Bankeinlagen
und große Geldscheine aus Randeuropa in wenigen Tagen in der Schweiz und
Deutschland gelandet. Die Kurse für Staats- und Unternehmensanleihen aller
möglicherweise betroffenen Länder fielen ins Bodenlose, ihr Finanzsystem bräche
zusammen.
Welcher aufgeschreckte Sparer in Randeuropa würde sich von
dem Hinweis beeindrucken lassen, eine unerprobte „Parallelwährung“ könnte den
Übergang zu einem nationalen Schwachgeld erleichtern und drohende
Vermögensverluste abfedern? Und wer könnte den Anlegern glaubhaft versichern,
dass doch nur Griechenland, Spanien oder Italien aus dem Euro gekegelt würden?
Die blanke Angst, Spanien oder Italien könnte zusammenbrechen, könnte sofort
den großen Nachbarn Frankreich ins Wanken bringen. Wer würde Frankreich dann
noch einen Kredit verlängern? Möchten wir wirklich den Tag erleben, an dem
Frankreich eine deutsche Anti-Euro-Politik dafür verantwortlich macht, dass es
in einem Staatsbankrott seine Sparer enteignen muss oder sogar seine Löhne und
Renten nicht mehr zahlen kann?
Theoretisch könnte vielleicht die EZB eine solche Panik
eingrenzen. Dafür müsste sie noch am deutschen Wahlabend zwischen guten und
schlechten Staaten unterscheiden und gleichzeitig ihren Willen, einen Kerneuro
zu verteidigen, durch vorab unbegrenzte Käufe von Staats- und
Unternehmensanleihen dieser „guten“ Staaten beweisen. Aber solch ein
Sicherheitsnetz würden die siegreichen Euroskeptiker ja verbieten lassen.
Finanziell könnte uns eine Anti-Euro-Politik teuer zu stehen
kommen. Die Turbulenzen nach der Lehman-Pleite hatten Ende 2008 eine Rezession
ausgelöst, die den deutschen Steuerzahler über weniger Staatseinnahmen und mehr
Staatsausgaben rund 300 Mrd. Euro gekostet hat. Lehman war weit weg, in den
USA. Die Turbulenzen um einen Zerfall unseres eigenen Geldes könnten unsere
Wirtschaft noch viel härter treffen. Ein versuchter deutscher Ausstieg aus dem
Euro ist derzeit die einzig denkbare Finanzkatastrophe, die Deutschland einem
Staatsbankrott nahe bringen könnte. Niemand weiß, welche Kettenreaktion ein
deutscher Versuch, den Euro aufzulösen, wirklich in Gang setzen würde. Aber die
Risiken sind so groß, dass es mehr als nur grob fahrlässig wäre, es darauf
ankommen zu lassen.
Zum grundsätzlichen Kurs, Deutschlands aktuelle Stärke in
den Dienst des gemeinsamen Europas zu stellen, statt unsere Freunde und
Nachbarn in ihrer Not allein zu lassen, gibt es keine Alternative. Wer die
Geschichte Europas kennt, sollte eines wissen: Deutsche Sonderwege, ob mit oder
ohne Beifall aus Finnland und Österreich, endeten immer wieder in einer Katastrophe.
Und davon hat unser Land nun weiß Gott schon mehr als genug gehabt.
Dr. Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg
Bank.
Weitere Erläuterungen in seinem Buch „Unser
gutes Geld: Warum wir den Euro brauchen“ Murmann Verlag, Hamburg, November 2012.
"Wer einen Fehler gemacht hat und ihn nicht korrigiert, begeht einen zweiten."
AntwortenLöschenKonfuzius
Der Fehler "Europäische Währungsunion" entstand aus dem Gedanken, "dass Staaten, die eine gemeinsame Währung haben, nie Krieg gegeneinander führen". Dieser Gedanke war schon der zweite Fehler; der erste Fehler bestand darin, sich gar nicht bewusst gemacht zu haben, was eine Währung ist und woraus Kriege entstehen:
Krieg oder Frieden
Ich kann sehen, dass dies ein sehr guter Artikel, ist obwohl mein Deutsch sehr schwach ist. Ist es möglich, diesen Artikel in Microsoft Word zu schicken mir so formatieren, dass ich das sagen darf, über ein online-Übersetzer. Vielen Dank. mrjhmorgan@gmail.com
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