Angela Merkel
ist auch unter einem anderen Vornamen bekannt: TINA (“There Is No Alternative”).
TINA Merkel ist überzeugt: Es gibt keine Alternative zum Euro als gemeinsame
Währung – für alle gegenwärtigen Mitgliedstaaten (mit der möglichen Ausnahme
Zyperns). Doch auch wenn die Eurozone „koste es, was es wolle“ zusammengehalten
werden soll, versucht die Kanzlerin, diese Kosten doch so niedrig, unsichtbar
und zukünftig wie möglich zu halten. Das ist ökonomisch vernünftig, politisch schlau und rational. Es löst aber nicht ein Trilemma
oder „magisches Dreieck“ von Zielen, das die deutsche Regierung (wie auch immer
sie nach dem September aussehen mag) vor unangenehme Entscheidungen stellen
wird.
Merkels Trilemma: unbequeme
Alternativen
Angela Merkel
und ihre Regierung (einschließlich weiter Teile der Opposition) wollen gleichzeitig
erreichen, dass:
- Die Eurozone nicht auseinanderbricht;
- Keine umfassende “Transferunion” entsteht (Eurobonds oder andere Formen unkontrollierbarer und unbegrenzter Vergemeinschaftung von Schulden); und
- Keine umfassende “Inflationsunion” entsteht (unbegrenzte Monetisierung von Schulden durch die EZB und “Weginflationieren” der Schulden).
Bisher konnte
das überragende erste Ziel eingehalten werden, ohne die anderen beiden Ziele
aufzugeben. Beobachter wie George Soros, Joseph Stiglitz, Olivier Blanchard oder
Paul Krugman glauben jedoch nicht, dass dies so bleiben kann. Ohne Eurobonds
(Soros, Stiglitz)
oder eine höhere Dosis Inflation und/oder „whatever it takes“ Monetisierung von
Staatsschulden durch die EZB (Krugman, Blanchard)
könne die Eurozone nicht zusammengehalten werden, argumentieren sie (und viele
andere).
Die
ökonomische Logik dieser Forderungen ist angreifbar. Die politische Logik
innerhalb der EU und der EZB hingegen deutet darauf hin, dass Frau Merkels
magisches Dreieck von Zielen und Prinzipien ein unlösbares Trilemma abbildet.
Zu Eurobonds
hat die Kanzlerin starke Worte gefunden: “nicht, solange ich lebe” .
Peer Steinbrück hält sich hier noch bedeckt, denn auch er kennt
Meinungsumfragen,
wonach 79% der Wähler Eurobonds ablehnen.
Dagegen
könnte nach den Wahlen im September der Plan des Sachverständigenrats aus dem
Jahr 2011 eine Renaissance erleben: Der Schuldentilgungspakt.
Der Vorschlag sieht vor, dass die Schulden der Euro-Länder, die zu einem
Stichtag die 60 % Grenze überschreiten, in einen Schuldentilgungsfonds mit
gemeinschaftlicher Haftung ausgelagert werden. Im Gegenzug gehen die
teilnehmenden Länder Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Tilgungsfonds ein, die so berechnet sind, dass jedes Land seine
ausgelagerten Schulden innerhalb von insgesamt etwa 25 Jahren tilgt. Auch
müssen weitere Auflagen erfüllt werden, wie eigens zum
Zweck der Tilgung zu erhebende Steuern, die Hinterlegung von Sicherheiten und
die Verpflichtung zur Aufstellung verbindlicher Konsolidierungs- und
Strukturreformpläne.
Diese
„Eurobonds light“ Version findet viele Anhänger in der deutschen Opposition, im
Europäischen Parlament und in den überschuldeten Ländern. Viele deutsche Ökonomen
freilich halten es für politisch naiv, dass es eine Vergemeinschaftung von
Schulden ohne „moral hazard“ geben kann und dass die Tilgungsverpflichtungen
und Auflagen wirklich eingehalten werden (s. Otmar Issing hier oder Dieter Smeets hier).
Politisch
attraktiv erscheint damit am ehesten die dritte Option: Die Schulden durch
schleichende Inflation auf dem Rücken der Sparer abzutragen. Auch wenn gerade
in Deutschland eine einzigartige Inflationsangst im kollektiven Gedächtnis der
Bürger verblieben ist: Inflation ist als süßes Gift politisch nahezu
unwiderstehlich. Inflation senkt den Realwert der (Alt-) Schulden (öffentlich
und privat). Und solange die EZB und der Gesetzgeber einen Anstieg der
Nominalzinsen als Reaktion auf gestiegene Inflationserwartungen erfolgreich bremsen,
kann eine solche „finanzielle Repression“ auch gelingen. Gleichzeitig führt Inflation über „kalte Progression“ dazu, dass
die Steuereinnahmen steigen, ohne dass hierfür Steuererhöhungen politisch
beschlossen werden müssen: Einkommen geraten nominal in progressiv steigende
Steuersätze, auch wenn sich die Kaufkraft des Einkommens nicht geändert hat.
Der
“monetäre” Ausweg aus dem Trilemma wäre zwar ökonomisch langfristig äußerst
schädlich, ist aber aus den oben genannten Gründen politisch verführerisch. Wie
jüngst die Zypern-Krise gezeigt hat, ist die Bereitschaft deutscher Parteien
und Bürger, immer weitere Haftung für die Schulden anderer Länder zu
übernehmen, allmählich erschöpft. Die monetäre Lösung dagegen erlaubt es, den
schwarzen Peter an die EZB weiterzureichen. Gleichzeitig kann die Bundesbank, wie vor kurzem sehr deutlich,
ihre ordnungs- und geldpolitischen Bedenken weiter äußern – sie würde wie in
der jüngeren Vergangenheit im EZB-Rat schlicht überstimmt werden.
Die deutsch-französische
Achse: “Austerität” oder “Solidarität”?
Die
historisch entscheidende deutsch-französische Achse ist heute kaum noch vorhanden. Während in den ersten Jahren der Eurokrise
vorhergehende Konsultationen zwischen Kanzlerin Merkel und Präsident Sarkozy
die Agenda des europäischen Krisenmanagements deutlich bestimmt haben,
herrscht seit der Wahl von Francois Hollande eher Misstrauen und jüngst sogar
offene Un-Freundschaft zwischen Berlin
und Paris (vgl. dazu hier und hier und sicher auch bald wieder auf unserem „Pariser Platz“ hier).
Der französische Präsident erscheint noch immer verstimmt über Frau Merkels
Unterstützung für Sarkozy während der vergangenen Wahlen (auch wenn Hollande
das am Ende eher genutzt haben mag). Die deutsche Regierung hingegen sieht mit
Besorgnis, dass in Frankreich eine Wirtschafts- und Sozialpolitik betrieben
wird, die dem Land schadet und die Stabilität der Eurozone gefährden könnte.
Frankreich
geriert sich zunehmend als Sprachrohr des “Club Méditerranée” – der
überschuldeten Länder des Südens, die von deutschen Steuerzahlern „Solidarität“
einfordern und eigene Sparanstrengungen zumindest verschieben wollen. Nachdem
in Deutschland das Renteneintrittsalter von 65 auf 67 erhöht wurde, um die
Sozialversicherungen nachhaltig finanzierbar zu machen, wurde die Entscheidung
in Paris, das Rentenalter von 62 auf 60 zu senken in Deutschland als weiteres
Anzeichen mangelnder fiskalischer Seriosität der sozialistischen Regierung in
Frankreich betrachtet.
Gleichzeitig
versucht man in Paris, Deutschlands “Egoismus” und “Austerität” für die
Probleme in Frankreich und der Eurozone mitverantwortlich zu machen. Die
deutschen Forderungen der Haushaltsdisziplin und marktwirtschaftlicher
Wettbewerbsfähigkeit werden als Missbrauch einer neuen hegemonialen Macht
verstanden.
Zur
weiteren Irritation dürfte in Paris eine andere Entwicklung beitragen: Das
„rapprochement“ zwischen Berlin und London.
Die deutsch-britische
Achse: “Subsidiarität” und “Flexibilität”
Vor
wenigen Tagen kam der britische Premierminister und seine Familie zu einem Freundschaftsbesuch
nach Schloss Meseberg nahe Berlin. David Cameron ist auf schwieriger Mission: Er muss die Führung anderer EU-Staaten (und vor allem: Deutschlands) davon
überzeugen, dass eine grundlegende Reform der EU (einschließlich möglicher
Vertragsänderungen und Rückübertragungen von Kompetenzen auf die nationale
Ebene) sowohl wünschenswert als auch machbar sind.
Die
Reaktion auf seine berühmte Rede vom 23. Januar, in der er ein britisches
Referendum über den weiteren Verbleib Großbritanniens (evtl. im Jahr 2017) in
der EU ankündigt, war gemischt – auch in Deutschland. Dennoch hat man gerade in
Deutschland ein besonderes Interesse am Verbleib der Briten in der EU und auch
ein gewisses Verständnis für Camerons Forderungen nach mehr „Flexibilität“ innerhalb
der EU und mehr Wettbewerbsfähigkeit der EU auf den globalen Märkten. Es sind
vor allem zwei Gründe (s. auch hier):
- Die deutsche Vorstellung über einen (deutschen oder europäischen) Föderalismus sind nicht so weit von der britischen entfernt. „Subsidiarität“ und „Eigenverantwortung“ werden in Deutschland als Prinzipien guter Politik ebenso geschätzt wie „Solidarität“ und „Gemeinsamkeit“. Inzwischen dürfte “Subsidiarität” gerade in Deutschland sogar mehr geschätzt werden, nachdem man erfahren hat, wie „Solidarität“ an Grenzen stößt und politisch missbraucht werden kann.
- Deutschland sieht Großbritannien vor allem in den folgenden Bereichen als wertvollen strategischen Partner und Verbündeten an:
- Binnenmarkt: Großbritannien ist Deutschlands wichtigster Handelspartner (2012 erstmals knapp vor den USA). Beide Länder haben ein starkes gemeinsames Interesse, den europäischen Binnenmarkt zu vollenden und zu vertiefen (gerade in den Bereichen Dienstleistungen oder Energie).
- Freihandel: Beide Länder sind traditionell stärkere Befürworter von Freihandelsabkommen über die EU hinaus als die meisten anderen EU-Länder. Die gerade jetzt mit den USA beginnenden Verhandlungen über eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP) werden von Berlin und London mit Nachdruck unterstützt (und von Paris bereits erkennbar blockiert).
- EU-Haushalt: Andrea Merkel hat Anfang des Jahres schon gezeigt, dass sie David Cameron innenpolitische Erfolge ermöglichen will. Das Versprechen des Premierministers, erstmals eine Reduzierung der Ausgaben der EU durchzusetzen, war nur mit Deutschlands Unterstützung möglich. Beide Länder haben auch ein gemeinsames Interesse daran, den EU-Haushalt nicht nur „schlanker“, sondern auch „moderner“ zu machen. Das erfordert vor allem weniger Subventionen für Landwirte und strukturschwache Regionen (auch: in reichen Staaten).
Merkels Alternativen
zu Hause
Noch
ist es viel zu früh, den Ausgang der Bundestagswahlen vorherzusagen. Eines
jedoch scheint schon heute sehr wahrscheinlich: Dass die bisherige Kanzlerin
auch die nächste sein dürfte. Auch wenn die FDP ihr überraschend gutes Ergebnis
von vor vier Jahren sicher nicht wird wiederholen können, ist selbst eine
Wiederauflage einer CDU-FDP Koalition nicht mehr so utopisch wie es noch vor
einem Jahr schien. Alternativ könnte sich für Angela Merkel auch eine
Wiederauflage der großen Koalition (mit der SPD als „Junior-Partner“) anbieten.
Selbst das Experiment einer schwarz-grünen Koalition ist denkbar, nachdem die
CDU mit der „Energiewende“ deutlich „grüner“ geworden ist.
Dies
sind die angenehmen Alternativen für die Bundeskanzlerin: Sie kann pragmatisch
und strategisch zwischen verschiedenen Allianzen sowohl zu Hause als auch auf
der europäischen Bühne wählen. Die unangenehme Wahl steht TINA Merkel jedoch
bevor: Die Auflösung des Euro-Trilemmas. Angesichts der Alternative, entweder
deutschen Steuerzahlern eine noch weitreichendere Transferunion zuzumuten oder
deutschen Sparern und Gläubigern durch eine Inflationsunion zuzusetzen, um auf
die eine oder andere Art die Eurozone vor dem Kollaps zu bewahren, wird die
Kanzlerin eines Tages (nach dem 22. September) eine überaus unpopuläre
Entscheidung treffen müssen.
Hierauf
setzt bekanntlich eine weitere Alternative: Die vor kurzem gegründete neue
Partei „Alternative für Deutschland“. Sie tritt als einzige politische Kraft dafür
ein, das Trilemma dort aufzulösen, wo die Bundesregierung und die Opposition an
der „Alternativlosigkeit“ festhält: Bei der geordneten Auflösung der Eurozone. Das wird für keine der möglichen künftigen Regierungen eine ernsthafte Option
sein; aber das Abschneiden der „Alternative“ könnte darüber entscheiden, wer
künftig die harten Entscheidungen wird treffen müssen: Transferunion und/oder
Inflationsunion?
Die vierte Alternative
P.S.: Es gibt natürlich auch noch die vierte Option in einer zweiten, ordnungspolitisch
konsequenteren, aber leider auch eher idealistischen, Dimension: „Austeritätsunion“
und „Rechtsgemeinschaft“. Also zweierlei: Zum einen zurück zur europäischen Wirtschaftsverfassung des Maastrichter Vertrags und vorwärts zu einem allgemeinen, gleichen,
geordneten, Staatsinsolvenzrecht, zu ebenso resoluter Bankenabwicklung,
glaubwürdiger Regelbindung und damit hin zu mehr dezentraler Haftung und Eigenverantwortung
von Investoren und Regierungen.
Trotz erheblicher Mängel zeugen der Fiskalpakt und die Pläne zur Bankenunion zumindest von Bemühungen Einiger in diese Richtung. Die deutsche Regierung, das
Bundesverfassungsgericht und die Bundesbank setzen ihre Hoffnungen (jeweils aus unterschiedlichen Motiven) auf diese alten und neuen Ansätze einer europäischen
Ordnungspolitik. Ich auch. Ich fürchte aber, dass zunächst einmal der Gemeinspruch gilt: „Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis“!
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